Auf dem Bahnhof Bissendorf bei Hannover stieß am Sonntag morgen (5.12.1948) um 8.38 Uhr der Personenzug 1475 Hannover-Soltau bei sehr starkem Nebel mit dem aus Soltau kommenden Personenzug 1476 zusammen. Die beiden Lokomotiven wurden schwer beschädigt, zwei Wagen des hannoverschen Zuges ineinandergeschoben und weitere Wagen stark demoliert. Nach Mitteilung der Reichsbahn forderte das Unglück 6 Tote, 10 Schwer. Und 48 Leichtverletzte. Die Namen der Toten sind: Joseph Winkel aus Hannover-Kleefeld, Schwerinstr. 14; Ernst Kastelan, Hannover, Eulenkamp 72; Bernhard Kienhorst, Mellendorf; Guza, Janes, Soltau, DP.-Lager; Günther Hanne, Hannover, Auf den Hollen 26 und Frau Ottilie Dittmann, Vinnhorst, Schulstr. 21. Die Verletzten wurden, soweit sie ihre Reise nicht fortsetzen konnten, in den Krankenhäusern Hannover-Nordstadt und Schwarmstedt untergebracht.
Nach den bisherigen Feststellungen hielt der aus Hannover kommende Personenzug 1475 auf dem Bahnhof Bissendorf, um dort auf den Gegenzug aus Soltau zu warten. Die Strecke ist eingleisig. Um den Überweg für die Reisenden frei zu machen, wollte der Aufsichtsbeamte den Zug um eine halbe Länge vorziehen lassen. Er Pfiff, und der Lokführer faßte diesen Pfiff als Zeichen zur Abfahrt auf. Das Abfahrtsignal mit der weiß-grünen Scheibe glaubte er bei dem dichten Nebel übersehen zu haben. Der Zug fuhr an und stieß in der Höhe des Ausfahrtsignals mit dem Gegenzug zusammen.
Kurz nach dem Zusammenstoß heulte in Bissendorf die Sirene. Dem schnellen Einsatz der Bissendorfer Feuerwehr ist es zu verdanken, daß mit Hilfe von Schweißapparaten ein Teil der wimmernden Schwerverletzten in mühseliger Arbeit aus den verbogenen Trümmern befreit werden konnte, bevor der Reichsbahnhilfszug aus Hannover an der Unglücksstelle eintraf. Wie eine Streichholzschachtel wurde der zweite Personenwagen, der Todeswagen des hannoverschen Zuges zusammengedrückt. Alle Toten saßen in diesem Wagen.
Im Krankenhaus Nordstadt sprach unser Redaktionsmitglied mit dem 36jährigen Heizer Schneider aus Hannover, der auf der Lokomotive des Soltauer Zuges fuhr. "Wir hielten ordnungsmäßig vor dem Bahnhof", so erzählte Schneider, der schwere Beinverletzungen erlitt, "bis das Haltesignal auf freie Fahrt gezogen wurde. In der Kurve vor dem Bahnhof, sehe ich auf einmal, vielleicht zwei Meter vor mir, aus dem Nebel die andere Lokomotive auftauchen. Festhalten, festhalten, konnte ich nur noch meinem Lokführer zuschreien, dann krachte es auch schon. Unser Tender schob sich in die Maschine, Kohlen und andere Gegenstände drückten mich in die andere Ecke."
Im ersten Personenwagen des Unglückszuges aus Hannover saß die 33jährige Frau Tilla Meyer aus Hannover. "Es war wie bei einem Bombenangriff", berichtete sie mit leiser Stimme. "Ich fahre des öfteren nach Bennemühlen". In Bissendorf sah ich immer den Gegenzug, wenn wir wieder anfuhren. Ich war etwas erstaunt, als er Sonntag morgen nicht kam, habe mir aber nichts weiter dabei gedacht. Der Zug ruckte an und - kurze Zeit später ein entsetzlicher Knall und Sekunden später furchtbares Krachen und Splittern. Ich glaube, es waren zwei Stöße, die uns durcheinander warfen aber der zweite war der schlimmste.
Nach dem vorläufigen Untersuchungsergebnis ist der Lokführer des Personenzuges 1475 Hannover-Soltau ohne ordnungsmäßigen Abfahrtsauftrag gefahren. Den Soltauer Zug trifft keinerlei Schuld. Die Untersuchungen werden fortgesetzt.
Zur Niederschrift des Ortsbrandmeisters über den Katastropheneinsatz
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